.png)
Ein starker Texteinstieg in deine Abschlussarbeit: Strategien und Beispiele
- Dr. Miriam Pahl
- 7. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Nov.
Natürlich kann der erste Satz deiner Abschlussarbeit "Diese Masterarbeit handelt von YXZ" lauten. Ich rate aber davon ab - er ist einfach sterbenslangweilig und weckt garantiert keine Neugier auf den Rest deiner Arbeit. Es bleibt also die Frage: Wie schreibt man den Texteinstieg einer Abschlussarbeit so, dass man Lesende neugierig macht und einen Vorgeschmack und Ausblick bietet? Ein starker Texteinstieg führt deine Lesenden auf interessante Weise an das Thema heran und regt zum Weiterlesen an. In diesem Artikel erfährst du, wie du den Texteinstieg deiner wissenschaftlichen Arbeit so gestaltest, dass er informativ, klar und spannend ist – ohne Fachjargon und auch ohne langatmige Erklärungen, die deine Leser*innen gleich zu Beginn ungeduldig werden lassen. Ich zeige dir erprobte Vorgehensweisen, Schemata und anschauliche Beispiele.
Inhalt:
Warum ein guter Texteinstieg wichtig ist für deine Abschlussarbeit
Der erste Absatz deiner Abschlussarbeit hat eine enorme Wirkung. Noch bevor deine Prüfer*innen den Aufbau, die Argumentation oder die Ergebnisse kennen, entsteht durch diesen Abschnitt der erste fachliche und sprachliche Eindruck. William Zinsser verdeutlicht, wie wichtig ein guter, interessanter Texteinstieg ist:
Der wichtigste Satz jeden Artikels ist der erste. Wenn er die Leserschaft nicht dazu verleitet, auch den zweiten Satz zu lesen, ist der Artikel tot.
Auch Doris Märtin argumentiert, dass nicht allein der Inhalt eines Textes (und dessen Aufbereitung) über dessen Wert entscheidet. Mit den ersten Zeilen hat man die Möglichkeit, Lesende in den Text zu ziehen und den Inhalten eine Bühne zu bereiten. Ein starker Texteinstieg zeigt, dass du dein Thema verstehst, wissenschaftlich präzise formulierst und deine Lesenden sicher durch den Text führen kannst.
Die häufigsten Fehler beim Texteinstieg
Für Schreibende wissenschaftlicher Texte - vor allem Anfänger - ist es nicht einfach, einen guten Einstieg zu finden. Es besteht zum Beispiel oft die Schwierigkeit, den "Sweet Spot" zwischen „Ich schreibe einen Fachtext“ und „Ich mache meinen Text für eine breite Leserschaft zugänglich" zu finden. Die folgenden Fehler begegnen mir am häufigsten in meinen Lektoraten von Bachelorarbeiten, Masterarbeiten und Manuskripten:
Die Einleitung auslassen: Mir ist schon häufig aufgefallen, dass Autor*innen direkt im ersten Satz Fachbegriffe oder komplexe Theorien präsentieren. Das wirkt vielleicht klug und wissenschaftlich, schreckt aber die Lesenden ab. Die ersten Sätze sind dafür da, klar und zugänglich an das Thema heranzuführen und einen Überblick anzubieten.
Zu breit anfangen: Anderseits wird in der Einleitung ebenso häufig sehr weit ausgeholt und langatmig der Kontext erläutert, bevor der Autor zum Punkt kommt und das Hauptthema des Beitrags nennt. In wissenschaftlichen Texten sind so ausführliche Erläuterungen unüblich. Statt der Überforderung durch das Auslassen der Einleitung besteht die Gefahr, dass Lesende in ein Scannen des Textes übergehen, um schnell zu dem Punkt zu kommen wo es interessant wird.
Ein weiterer typischer Fehler sind Allgemeinplätze, die in den ersten Sätzen herangezogen werden, weil Autor*innen sich anscheinend auch selbst erst fürs Schreiben aufwärmen müssen. Dort heißt es dann z. B. ganz unpräzise: Die Digitalisierung bietet viele Chancen, aber auch Herausforderungen für die heutige Gesellschaft.
Zitate oder Definitionen ohne Kontext: Ein Einstieg mit einem Zitat, einer Definition oder Statistik kann spannend sein – wenn sie erklärt werden. Häufig fehlt aber die Einordnung: Warum ist dieses Zitat relevant? Was hat es mit dem Thema zu tun? Ohne Kontext fehlt den Lesenden die Orientierung und der erste Satz erfüllt nicht seine Aufgabe.
Erprobte Strategien für einen starken Texteinstieg
Dialektisches Prinzip
Ein gut funktionierendes Schema für die ersten Absätze deines Textes ähnelt dem dialektischen Prinzip von Hegel, in dem eine These einer Antithese gegenüber gestellt wird, die zusammen in einer Synthese integriert werden. Übertragen auf den Texteinstieg erfordert dies im ersten Schritt eine Einleitung in das allgemeine Thema - ein Phänomen, dass den Lesenden bekannt vorkommt, eine geläufige Meinung, eine nicht besonders überraschende Statistik. Die Lesenden werden auf diese Weise aus ihrer Welt „abgeholt“, sprachlich wird deutlich: „Hier steigen wir ganz konkret ein.“
Im nächsten Schritt wird dieser „stabile Kontext“ destabilisiert. Ein Aspekt der landläufigen Meinung wird näher betrachtet, der Hintergrund einer Statistik genauer beleuchtet, ein Phänomen ausdifferenziert. Wir verlassen das bekannte Terrain und tauchen ein in das Thema des folgenden Textes.
Aus dieser These/Antithese wird im dialektischen Prinzip die Synthese hergestellt; in unserem Schema für den Texteinstieg wird die Hauptthese des Textes hergeleitet und vorgestellt.
Küchenzuruf
Ein weiterer Ansatz, der sich für wissenschaftliche Texte eignet, ist der "Küchenzuruf", der auch "Fensterbrüller" genannt und im Journalismus und Marketing angewandt wird. Ein Küchenzuruf vermittelt die wesentlichen Punkte eines Textes in einer Aussage - so als würde Grete, die die Zeitung liest, Hans, der in der Küche arbeitet, zurufen, was in dem Artikel steht, den sie gerade gelesen hat. Wenn man es schafft, den ganzen wissenschaftlichen Text auf einen Satz herunter zu kochen, kann man ihn danach in seine Komponenten aufdröseln.
Aufwärmen und Überarbeiten
Es ist legitim, erstmal weit auszuholen und den Text zu beginnen. Dies kann auch helfen, sich für das Schreiben aufzuwärmen. In der Überarbeitungsphase kann oft der erste Absatz einfach komplett gestrichen und mit dem zweiten Absatz begonnen werden. Doris Märtin empfiehlt, ungefähr bei dem 150. Wort zu suchen; oft finde sich dort ein interessanter Gedanke, mit dem man den Text beginnen könne.
Beispiele gefällig? Hier kommen gelungene Textanfänge
Es gibt viele Möglichkeiten, wie der erste Satz einer wissenschaftlichen Arbeit an das Thema heranführen kann. Obwohl wissenschaftliche Arbeiten insgesamt eine recht starre Struktur haben, können Schreibende hier kreativ sein. Die folgenden Beispiel stammen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Schreibratgebern - und verdeutlichen, wie unterschiedlich man an den ersten Satz herangehen kann. Sie zeigen außerdem, dass man - ohne Fachbegriffe - mitten im Thema beginnen kann. Nur Mut!
Eine Frage als Einstieg:
"Was kommt als nächstes? Wer TikTok konsumiert, wird diese Frage nicht los."
Eine These als Einstieg:
"Menschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen stellen unter älteren Menschen wohl den Personenkreis dar, der am häufigsten Maßnahmen des wohltätigen Zwangs ausgesetzt ist."
Eine Definition als Einstieg:
"Kognitive Künstliche Intelligenz (KKI) ist eine junge interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit natürlichen wie künstlichen, konkreten wie abstrakten kognitiven Prozessen auseinandersetzt und prädiktive sowie erklärbare algorithmische Modelle für diese entwickelt."
Ein historischer Einstieg
"Die Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro aus dem Jahre 1992 stellt einen zentralen Meilenstein in der Geschichte der nachhaltigen Entwicklung dar."
Ein persönlicher Einstieg:
"Ich bin Schreibcoach und dreifache Mutter."
Ein Zitat zum Einstieg:
Hannah Arendt wurde einmal gefragt, ob ihr das Schreiben schwer falle. Sie antwortete: „Aber nein, ich schreibe doch nur ab, was ich im Kopf habe!“ (Zit. in Hentig 1999, 25)
FAQ: Häufige Fragen zum Texteinstieg für wissenschaftliche Texte
Sollte man in der Einleitung mit "Diese Arbeit handelt von ... " beginnen?
Der Klassiker. Die Antwort: Nein, davon raten die meisten Schreibratgeber ab. Ich finde es für den zweiten Absatz denkbar; der erste Satz sollte konkreter in das Thema einsteigen.
Kann ich ein Zitat oder eine Statistik als Einstieg verwenden?
Ja, das ist ein guter Weg, um konkret in das Thema einzusteigen. Wichtig ist, dass das Zitat oder die Statistik kontextualisiert wird und nicht isoliert für sich steht.
Kann KI beim Formulieren des Texteinstiegs helfen?
Ich empfehle dir, die KI nicht den ersten Entwurf schreiben zu lassen. Das schränkt deine Kreativität ein. Stelle der KI übergeordnete Fragen, um Inspiration zu finden.
Wie kann ich prüfen, ob mein Texteinstieg gut gelungen ist?
Wenn du deinen Texteinstieg länger nicht gelesen hast, wirst du wahrscheinlich beim Überarbeiten direkt merken, ob dein erster Satz gut funktioniert, oder ob du ihn noch interessanter gestalten solltest. Es hilft auch, für deine Korrekturleser*innen einen Kommentar einzufügen: Wie findest du diesen Einstieg?
Über mich
Ich bin Miriam, Expertin für wissenschaftliches Arbeiten, Lektorin für wissenschaftliche Texte und Schreibberaterin aus Bremen.
Mit meinem Lektorat Am Schreibtisch unterstütze ich Studierende und Doktorand:innen bei ihren Abschlussarbeiten und bei der Veröffentlichung ihrer ersten Fachartikel.
Mein Fokus liegt dabei auf einem präzisen Ausdruck, der komplexe Sachverhalte verständlich vermittelt.
Du willst, dass deine wissenschaftliche Arbeit nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern fundierte, analytische Argumentationen entwickelt? Dann schreib mir eine Nachricht - und lass uns in unserer Zusammenarbeit deine Forschung erfolgreicher machen.
Quellen:
Märtin, Doris. Erfolgreich texten: klarer schreiben, überzeugender ansprechen, wirkungsvoller kommunizieren. Fünfte, neu Bearbeitete Auflage, Bramann, 2019.
Zinsser, William. On Writing Well: The Classical Guide to Writing Nonfiction. Seventh edition, Revised and Updated, 30th anniversary edition, Collins, 2021.
Kommentare