Praxisbeispiel: Wie der Nominalstil uns den Spaß am Lesen verdirbt
- Dr. Miriam Pahl
- Jun 9
- 3 min read
In einem (unveröffentlichten) wissenschaftlichen Text ist mir vor einigen Tagen folgender Satz untergekommen (ich habe ihn minimal geändert, damit er nicht zugeordnet werden kann):
Ziel des Projekts ist die Darstellung aktueller Angebote und die Erlangung von Kenntnis bezüglich der Faktoren, die das Inanspruchnahme-Verhalten der Bevölkerung determinieren, um im Anschluss Implikationen hinsichtlich einer Angebotsoptimierung abzuleiten.
Ein feinstes Beispiel dafür, wie der Nominalstil uns den Spaß am Lesen verderben kann. Der Satz zeigt: Wer im Nominalstil schreibt, bekommt träge, schwer verständliche Sätze.

Was heißt Nominalstil?
Wer sich ein bisschen mit "gutem" Schreibstil auseinandersetzt, lernt schnell, dass man nicht generell im Nominalstil schreiben soll. Ich würde behaupten, das ist eigentlich immer in den Top 10 der goldenen Regeln für gute Texte vertreten (hier zum Beispiel, oder hier). Im Nominalstil werden Verben und andere Wortarten durch Substantive ersetzt: Aus verwerten wird Verwertung, aus repräsentieren wird Repräsentation, aus relevant wird Relevanz, aus verständlich wird Verständlichkeit. Solche Nominalisierungen werden vor allem in amtlichen und wissenschaftlichen Texten viel verwendet. Allerdings machen sie Sätze sperrig, lang und schwer zu fassen. Oft müssen derartige Sätze mehrmals gelesen werden, bevor die Bedeutung klar wird. Wenn darauf verzichtet wird, werden Sätze flüssiger und leichter verständlich - was besonders bei komplexen wissenschaftlichen Themen eigentlich hilfreich ist.
Präzise und unpräzise Substantive
Wenn drei oder mehr Substantive auf ein Verb kommen, kann einem Text ein Nominalstil bescheinigt werden (Stalder und Bisang 2024, S. 123). Stalder und Bisang erklären in ihrem Buch Fachtexte stilsicher und gehirngerecht schreiben (2024) den Unterschied zwischen "präzisen" und "unpräzisen" Substantiven. Präzise Substantive sind vor allem Fachbegriffe, die die Bedeutung eines Textes tragen und auf die deswegen nicht verzichtet werden kann. Sie können auch nicht durch Synonyme ersetzt werden, da dies die Lesenden nur verwirrt. Fachbegriffe verhelfen zu einer präzisen, effizienten Kommunikation in Fachtexten.
Unpräzise Substantive dagegen wirken fachlich, tragen aber nicht das gleiche Gewicht an Bedeutung wie die präzisen Substantive, also vor allem die Fachbegriffe. Stattdessen blähen sie Texte unnötig auf und verwässern die Aussage eines Satzes. Für Schreibende sind sie bequem, weil sie intelligent wirken und gleichzeitig ein bisschen unscharf, so dass man nicht genau wissen muss was man gerade sagen möchte. Je klarer eine Aussage wird, desto sicherer sollte man sich ihres Wahrheitsgehaltes sein. Das Ziel in guten Texten ist also, unpräzise Substantive sparsam einzusetzen und die Aussage des Satzes klar und leicht verständlich zu vermitteln. Inhaltlich belanglose Substantive sollten möglichst ersetzt werden gegen dynamischere, konkretere Wörter. Dabei ist das Ziel ein ungefähr ausgeglichenes Verhältnis zwischen Verben und Substantiven.
Verben bringen Dynamik und Klarheit in einen Satz, da sie Handlungen und Prozesse direkt beschreiben. Diese sind von den Lesenden leichter zu erfassen; ein Satz muss nur einmal gelesen werden. Mehr noch: Sie motivieren zum Weiterlesen und sind deshalb wichtige Treiber. Substantive, die auf -ung enden, können normalerweise durch Verben ersetzt werden; die mit Endungen auf -heit und -keit können in vielen Fällen durch Adjektive ersetzt werden. Weitere Wortendungen, die uns aufhorchen lassen sollten, sind -mut, -nis, -schaft, -ung, -tum, -ling, -sal, -tion, -ive, -anz, -tät.
Praxisbeispiel: Nominalstil verbessern
Schauen wir uns den Beispielsatz mit diesem Wissen noch einmal an:
Ziel des Projekts ist die Darstellung aktueller Angebote und die Erlangung von Kenntnis bezüglich der Faktoren, die das Inanspruchnahme-Verhalten der Bevölkerung determinieren, um im Anschluss Implikationen hinsichtlich einer Angebotsoptimierung abzuleiten.
Ich zähle 12 Substantive versus 3 Verben - eindeutig Nominalstil, guck an. Es gibt keine Fachbegriffe, dennoch können bedeutungstragende Substantive identifiziert werden: Projekt, (aktuelle) Angebote, Faktoren, Bevölkerung, eventuell noch Implikationen. Diese wollen wir also beibehalten. Im Umkehrschluss heißt das: Alle anderen Substantive müssen keine Substantive bleiben.
Wie wäre es hiermit:
Ziel des Projekts ist es, aktuelle Angebote darzustellen sowie Kenntnis zu erlangen über die Faktoren, die determinieren ob diese Angebote in Anspruch genommen werden. Daraus soll abgeleitet werden, wie die Angebote optimiert werden können.
Hier wiederholt sich "Angebote" dreimal, einmal könnte es durch "sie" ersetzt werden. Auch "bezüglich der Faktoren" und "hinsichtlich" sind umständliche Formulierungen, die schwer zu erfassen und einfacher, direkter formuliert werden können. Aus "Darstellung" wird "darzustellen", das "Inanspruchnahme-Verhalten" habe ich aufgelöst, ebenso die "Angebotsoptimierung" und die "Erlangung von Kenntnis". Die zwei Sätze sind geschmeidiger und können auf Anhieb verstanden werden.
Hier einmal die lange Liste an Dingen die mich an diesem Endlos-Satz stören:
Darstellung aktueller Angebote - Nominalisierung
Erlangung von Kenntnis - noch schlimmere Nominalisierung
bezüglich der Faktoren - umständlich formuliert und dadurch schlecht zu erfassen
Implikationen ableiten - prätentiös? In diesem Fall: Ja.
hinsichtlich - siehe "bezüglich der Faktoren"; könnte einfacher und besser lesbar formuliert sein
Angebotsoptimierung - Nominalisierung, again.
Wenn ich eine wissenschaftliche Arbeit lektoriere, löse ich derartige Sätze auf und mache einen Vorschlag, wie die Botschaft direkter und klarer vermittelt werden kann.
Meld dich gerne bei mir, wenn Du deine Masterarbeit oder Bachelorarbeit professionell lektorieren lassen möchtest, damit sie klar und verständlich zu lesen ist.
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